Chroming Rose – Louise XIV – 1990 EMI Electrola - Zur treuhänderischen Verwahrung für meinen Bruder
Das Cover erinnert mich immer an die begehrten Glanzbilder der Panini Sammelalben zu Fußball-EM- und WM-Zeiten. Ganz in Silber gehalten mit einem Prägedruck, der hier nicht das Emblem der französischen Nationalmannschaft, sondern Louise den XIV im Profil zeigt. Einer Münzprägung nachempfunden. Aber es verbirgt sich kein Konzeptalbum dahinter. Nur der Titelsong thematisiert das Leben des Sonnenkönigs, seine Sucht nach Prunk und den Sturz Frankreichs in die Armut. Hier wird noch der Spielmannszug durch die Musik gejagt und verbreitet den französischen Freiheitsgedanken. Das Album behandelt aber auch andere Themen, wie den amerikanischen Bürgerkrieg, Party machen oder die Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe. Man merkt, es ist ein Erstlingswerk. Es wird alles hineingeworfen was man hat, wer weiss, ob man eine weitere Chance bekommt. Aber das ist großartig, es hat dadurch den Charm des nicht perfekten. Metal made in Germany. Die Art von Musik aus dem kleinen Land hatte zum Erscheinungstag im Jahre 1990 Hochkonjunktur und eroberte die Welt im Sturm. Running Wild, Kingdom Come, Accept, Helloween oder die bereits etablierten Scorpions, um nur einige zu nennen. Die Gesangsstimme hoch; viele wollten wie Michael Kiske von Helloween klingen.
Die Platte ist eine Leihgabe meines Bruders, ich halte Sie gerne in Ehren. An guten Abenden wird sie rausgeholt und zur fröhlichen Untermalung einer Redepause aufgelegt. Danach sprudeln Erinnerungen und nostalgische Blüten wachsen in beängstigender Geschwindigkeit, wie ein gut gedüngter Löwenzahn. Partys, Helloween, Headbangers´ Ballroom unten am Hafen. Freunde, Bekannte, Ehemalige und längst Gegangene werden mit Anekdoten bedacht und am Leben gehalten. Gute Laune wird präsentiert, mit einem erfrischendem melodic Speedmetal (das stammt nicht von mir – passt aber). Heute singt kaum noch einer in dieser Tonlage, damals war es DAS Ding. Natürlich ist die Platte nicht mehr ganz zeitgemäß, aber wer ist das schon im gesetzteren Alter mit wenig Haupthaar. Aber es berufen sich wieder viele aktuelle Metalacts auf diese große Zeit als wichtigen Einfluss. Und auch Chroming Rose werden hier genannt. Das Erbe wird in Ehren gehalten und gewertschätzt. Das Erbe ist allerdings übersichtlich. Chroming Rose haben nicht die Welt erobert; interne Probleme und Meinungsverschiedenheiten sorgten für genügend Ablenkung vom eigentlichen Ziel dieser Band – einfach gute Musik zu machen. Schade. Aber das was da ist, lohnt sich allemal wiederzuentdecken.
Albert Lee – Hiding – 1979 – A & M Records, gebraucht gekauft bei ZARDOZ, Paul-Nevermann-Platz in Altona (schon lange nicht mehr an diesem Ort).
Ich, als ungelehriger Abbrecher von Peter Burschs´ Gitarrenschule, würde behaupten, die Finger von Albert Lee sind schnell. Und trotz der rasenden Geschwindigkeit die seine Finger an den Tag legen, sind die Töne auch noch ziemlich sauber getroffen. Zumindest war das Lied „Country Boy“ ein Grund für mich, mit dem Gitarrenspiel zu brechen. Talentlosigkeit muss man irgendwann einfach akzeptieren. Faulheit auch. „Country Boy“ macht einen souveränen Start auf dieser Platte. Ein flotter Country-Rocker, wo jeder aus der Band gleich mal zeigen kann, warum er eingestellt wurde. Jetzt weiss ich wieder, warum ich die Platte mal gekauft habe. Wegen des Covers zumindest nicht. Es gehört wohl zu den seltsamsten, am wenigsten ansprechenden Cover-Artworks die ich kenne. Man sollte sich davon aber nicht abschrecken lassen. Albert Lee, eine hoch sympathische Ikone der Rock und Country E-Gitarre. So ziemlich jedem stand er mit seiner Fender Telecaster, später mit seinem eigenen Musicman Signature-Model, zur Saite. Emmylou Harris, Eric Clapton, Joe Cocker, den Everly Brothers und bei noch vielen mehr stand er auf der Gehaltsliste. Nashville war eine Zeit lang sein Wirkungsbereich. Heute operiert er aus Kalifornien. Wenn man ihm zuhört, dann möchte man nicht glauben, dass er aus England stammt, so amerikanisch klingt er. Diese Platte ist gitarrenlastiger Country-Rock, Pedalsteel sollte man mögen oder zumindest akzeptieren. Es gab eine Phase, wo ich voll darauf abfuhr. Das hat sich allerdings auch ziemlich schnell wieder gelegt. Warum ich damals der sehr weichen und schunkeligen Ballade „Billy Tyler“ auf den Leim ging, ist für mich nicht mehr so ganz zu verstehen. Vermutlich muss man das Lied nur oft genug hören, um diesem eigenen Charm zu erliegen. Leider folgt darauf auf der Platte noch eine seichte Ballade. Aber es gibt glücklicherweise noch weitere Stücke, die mehr auf dem Gaspedal stehen und dem üblichen Boom Chicka des Countrys und Bluegrass wenig Platz geben, auch wenn keins der noch folgenden Lieder mehr an die tänzelnde Geschwindigkeit des „Country Boys“ heranreicht. Aber die Besetzung hat klasse. Ricky Skaggs mischt mit, Emmylou Harris singt im Background und wenn man Pedal Steel braucht, dann ist Glen D. Hardin der richtige.
Ich hätte fast mal ein Konzert von Albert Lee besucht. Warum ich nicht da war, habe ich vergessen. Zumindest hatte ich eine Eintrittskarte. Er war mit seiner Begleitband den Hogan Heroes´ unterwegs. Seit dem er seine Telecaster abgegeben hat, mag ich sein Gitarrenspiel allerdings nicht mehr ganz so sehr. Mir fehlt der Klang der Telecaster. Ich vermute, dass es damals der Grund war. Vieleicht hatte ich aber auch keine Zeit.
Eigentlich ist seine LP „Gadget but not bound“ ein bisschen schöner, wie ich beim erneuten reinhören feststellen musste. Rein Instrumental, mit dem ganz bezaubernden Pianostück „Erin“ am Ende der Platte. Hier hat sich bei mir der Zeitgeist doch um einiges geändert. Dieses Lied ziehe ich „Billy Tyler“ mittlerweile deutlich vor. Ich muss auch gestehen, dass mich die Platte „Hiding“ jetzt nicht sehr vom Hocker gezogen hat und auch nur wenige Erinnerungen wachgerufen wurden. Aber mal wieder anhören, das war schon wieder ganz gut. Das Zucken in den Beinen beim „Country Boy“ ging noch immer leicht von der Sohle. Das nächste Mal in Zehn Jahren dann wieder. Mal schauen wie die Gelenke dann reagieren.
Moneybrother – Real Control, 2009, den Rest habe ich vergessen…
Ein Zufall, ein Gespräch und eine spontane Reise nach Schweden brachten mich dazu, diese Platte wieder aus dem Regal zu ziehen. Lange ist es her. Um 2006 - 2007 wurde er in Deutschland gehypt. Ein Freund sah ihn auf dem Hurricane Festival in Scheeßel spielen, Sarah Kuttner von MTV war bekennender Fan und verschafft ihm über den Fernseher Gehör. Geliebt habe ich diese Platte und die Magie ist schon mit dem ersten Ton wieder da. Das in den Song reinrollende Klavier, der Chorus und die elektrische Gitarre die einsetzt, kurze abgedämpfte Anschläge und dann die Stimme von Anders Wendin alias Moneybrother, der gleich klar macht – hier ist gute Laune, wir gehen dir in die Beine. Die spontane Reise nach Schweden ist der Tatsache geschuldet, dass die Band seit einigen Jahren eher selten außerhalb von Schweden Konzerte gibt. Wohl der familiären Situation geschuldet. Deshalb fahren wir zu viert nach Höganäs in Schweden und besuchen ihn an einem lauschigen Mai-Wochenende. Wenn er nicht vorbeikommt, dann müssen wir halt dahin. Er spielt in der örtlichen Brauerei. Ein Umstand der in Schweden zumindest gutes Bier verspricht. Ein fantastisches Konzert, eine fantastische Lokalität und der Ort ist mit seinem nahegelegenen Strand ein großartiger Wochenendtipp. Was will man mehr. Das Konzert begeisterte mich dermaßen, dass ich mir spontan direkt nach dem Konzert zwei weitere Platten über Ebay-Kleinanzeigen kaufte und ich tiefer in die Materie einstieg. Ich entdecke ihn gerade neu, lerne weitere Facetten von ihm kennen und bin beeindruckt von der Melange aus Soul, Funk, Ska, Rock und Folk, die er problemlos in runde Songs packt. Die Inspiration quilt aus jedem Song. Und er kann seine Inspirationsquellen nicht leugnen. Will er vermutlich auch gar nicht. Er zeigt, was ihn begeistert. Da ist der Prince, der Springsteen, der Curtis Mayfield und mindestens einmal kommen Thin Lizzy mit ihren Twinguitars durch. Über allem stehen die Harmonien, die sich einem ziemlich schnell im Kopf festsetzen und einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Wenn nicht, dann kommt das Lächeln spätestens, wenn man ihn bei der schwedischen Version von `Sing meinen Song´ sieht. Ein sympathischer Vogel mit viel Soul im Gemüt und der aus den Liedern der anderen echte Perlen macht. Mal schauen, wie es weiter geht.
Whitesnake – In The Heart Of The City – Liberty/Emi 1980 – Flohmarktempfehlung meines Bruders
Ich weiss nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, ausgerechnet diese LP aus dem Regal zu ziehen. Eventuell hat es etwas mit dem Podcast zutun, den ich heute gehört habe. Da ging es um das Live-Album der Scorpions - World Wide Live. Die Scorpions untermauern mit diesem Album in den 80zigern ihren verdienten Ruhm und die unsagbare Anerkennung, den, bzw. die sie in der weltweiten Hard & Heavy Szene genießen. Man darf ihren Einfluss auf sehr viele Musiker einfach nicht unterschätzen. Und das nicht nur in der Vergangenheit. Etwas wozu man in Deutschland gerne neigt. Die Scorpions werden hier einfach auf Wind Of Change reduziert. Der Rest der Welt kennt den anderen Teil ihrer musikalischen Historie. Ich berufe mich bezüglich des Ruhms da auf den Podcast, der in diesem Falle als Stimme der Welt fungiert. Ich mag die Stimme von Klaus Meine nicht und habe deshalb dieses Album ehrlicherweise nie gehört. Oder habe vielleicht auch zu viele seltsame Interviews mit Meine und Schenker gehört und stehe dem Ganzen etwas reserviert gegenüber. Aber nur weil ich die Stimme nicht mag, weiß ich ihr Schaffen trotz dessen durchaus zu schätzen. Da ich eben dieses Album der Scorpions nicht habe, greife ich auf das Album von Whitesnake zurück. Das steht immerhin bei mir im Schrank. Ein Album aus der gleichen Zeit wie das hier angesprochene Live-Album von den Scorpions. Es ist wie das Album der Scorpions Live, ein Doppelalbum und hat ein ähnlich reißerisches, mit einem leichten Hang zur Theatralik bunt gestaltetes Cover. Das Testosteron schwitzender Männer fließt fast aus beiden Plattenhüllen. Wenn da nicht einer vom anderen bei der Gestaltung abgekupfert hat (oder von den Live-Alben Live And Dangerous von Thin Lizzy oder Judas Priest Unleashed in The East) Das Whitesnake Album habe ich (bisher) genau so wenig gehört, wie das der Scorpions. Ich bin auch kein großer David Coverdale Fan, aber ich kann seine Stimme besser ertragen als die von Klaus Meine. Ich war gespannt.
Jon Lord ist auf der Tour mit dabei und gibt dem Ganzen einen sehr jam-lastigen Touch, mit einem Hang zu, nun ja, Deep Purple. David Coverdale hat nach seinem Abgang bei Deep Purple Jon Lord einfach gleich nachgeholt. Und Ian Paice als Schlagwerker gleich mit. Das Album macht ausgesprochen viel Spaß, es hat mehr Feuer als die Studioalben, ist dem Bluesrock noch angenehm nahe und noch weit entfernt von Here I Go Again, dem MTV/Whitesnake Richtungswechsel in Richtung Hochglanz und Millionseller von 1987. Was bestimmt auch seine Daseinsberechtigung hat. Es sind auf dem Live Album vor allem die alten Recken wie Bernie Marsden und Mickey Moody, die dem Ganzen noch den blues- und rockigen Unterton geben. Da stört es auch nicht, dass man unterschwellig den Eindruck hat, dass David Coverdale eigentlich gerne ein kleiner Robert Plant gewesen wäre. Eine Nähe zu dem Led Zeppelin Sänger ist des Öfteren rauszuhören, auch wenn er das natürlich immer bestreiten und als Zufall abtun würde. Wie dicht er ran kommt, muss jeder selbst entscheiden. Mich stört es nicht. Ich mag Robert Plant. Ich mag Deep Purple. Plant und Purple funktioniert hier. Was mir gefällt, ist, dass das Album vom ersten Ton an Spaß macht. Keine Längen, keine Lieder, die als Füller auf ein mögliches Grande Finale lange hinarbeiten und ein Konzert unnötig in die Länge ziehen. Come On macht die Marschrichtung klar. Der weitere Weg führt über bekanntes, endet aber nicht in einem Überhit, wie es sonst gerne bei Konzerten gemacht wird. Das Konzert lebt tatsächlich von seinen gut aufgelegten Akteuren und der Musik. Der Rausschmeißer Take Me With You macht einfach Lust auf eine neue Runde. Whitesnake waren nie wieder so gut, so dicht an Deep Purple, wie in dieser Besetzung.
Das Album besteht aus Konzertmitschnitten aus den Jahren 1978 bis 1980 und ist also keine Aufnahme von einem (legendären) schwitzigen Abend. Aber man merkt es der Aufnahme nicht zwingend an, wenn man von Ein- und Ausblendungen einmal absieht. Diese Platte ist tatsächlich mal eine Entdeckung. Kein Deep Purple Made In Japan oder Motörheads No Sleep Til Hammersmith, aber ein durchaus achtbares Album, das die Zeit gut überstanden hat und noch immer richtig Spaß macht.
Syd Barrett – The Madcap Laughs – Harvest 1970 - Erworben über Ebay Kleinanzeigen als Beifang.
Klar kennt man seine Geschichte. Mitbegründer von Pink Floyd, auf Drogen hängen geblieben und mit einer schweren psychischen Erkrankung am Ende bei seinen Eltern wieder eingezogen. Verstorben vor wenigen Jahren in Folge eines Krebsleidens. Seine musikalischen Gehversuche nach Pink Floyd wurden stets wohlwollend von den übrigen Pink Floyd Mitgliedern unterstützt und die Aufnahmen zum Abschuss gebracht. Alleine hätte er es vermutlich nie zu einem fertigen Album geschafft.
Mit Pink Floyd brachte er nur zwei Alben zustande. The Piper At The Gates Of Dawn, was sich als ein Meisterwerk etablierte und 1967 für Pink Floyd einen fulminanten Start bedeutete und das folgende Album A Saucerful Of Secrets, welches den Erfolg der Band rechtfertigte. Wenn die Bezeichnung Genie und Wahnsinn auf einen Menschen zutreffen, dann ist das wohl bei Syd Barrett der Fall. Er verließ die Band früh, die Psyche, befeuert von bewusstseinserweiternden Substanzen. Das alles machte eine weitere Zusammenarbeit unmöglich. Nach Pink Floyd wurde er vor allem dadurch berühmt, das Pink Floyd ihm immer wieder Songs widmeten. Shine On You Crazy Diamond oder Wish You Were Here sind wohl die bekanntesten.
Drei Solo LPs liegen in meinem Schrank. Diese Platten habe ich bereits seit sehr langer Zeit bei mir im Regal stehen. OVP. Ich hatte mal eine CD von ihm, ich konnte sie nicht hören. Ich konnte keinen Bezug zu dieser Musik finden. Zu eigenwillig. Zu den LPs bin ich eher zufällig gekommen. Sie wurden mir aufgedrängt und bei dem Preis konnte ich nicht nein sagen. Der Verkäufer wusste wie er mein Interesse wecken konnte. Allerdings hatte ich auch noch immer die Unhörbarkeit der CD im Hinterkopf. Ich stellte sie erst einmal weg. Kommt Zeit, kommt Hörbarkeit. Ich hielt den Zeitpunkt jetzt für gekommen. Genug Zeit ist ins Land gegangen, ich bin reifer geworden, meine Hörgewohnheiten sind verändert.
Die Platte beginnt durchaus hörbar und ich frage mich, was ich vor vielen Jahren anders gehört habe. Ich bin angenehm überrascht. Musikalische Perlen blitzen immer wieder auf. Es kommen beim weiteren Hören aber auch die erklärenden Momente, wo ich merke, dass sich bei mir doch nicht alles geändert hat. Momente in denen man ihm sanft die Gitarre aus der Hand nehmen möchte. Momente, in denen man diese zärtlich zerhacken und ihn höflich bitten möchte, doch einfach die Fresse zu halten. Manch Singsang ist eigenwillig, nicht auf Anhieb als melodisch zu erkennen und für mich noch immer jenseits der Hörbarkeit. Vermutlich seiner psychischen Dissonanz geschuldet.
Jetzt, wo ich hier The Madcap Laughs anhöre, geht die Reise genau dort weiter, wo er mit der Pink Floyd Platte A Saucerful Of Secrets aufgehört hat. Nur nicht ganz so opulent, zarter Instrumentiert, aber genauso eigenwillig. Ein netter Ausflug in das psychedelische Wirrwarr eines zu schnell verglühten Genies. Als ein Singer-Songwriter-Werk könnte man die Platte beschreiben. Teils zart wie die Musik von Nick Drake, der ebenfalls viel zu früh verglüht ist. Und dann schlägt der Wahnsinn wieder zu und macht es schwer in seine Gedankenwelt oder schlicht in seinen Kopf einzutauchen und der Musik folgen zu können. The Madcap Laughs ist schwer verdaulich und entfaltete bei mir erst nach mehrmaligem Hören seinen Charm. Einen sperrigen Charm.
Ich hebe mir die beiden anderen Alben noch auf. The Madcap Laughs ist erst einmal genug zum Verdauen. Man muss sich auch noch einige schwere Happen für später aufbewahren, für den Fall, dass man irgendwann wieder Hunger bekommt.
Rory Gallagher – Defender – 1987 bei Capo/Demon - 12 DM im Slam, Große Bergstraße/HH – Lange vorbei
Auf ein Guinness. Ein Treffen mit Rory Gallagher. Seines Zeichens Gitarrengniedler aus Irland, der mit seiner Band The Taste um 1967 die erste Aufmerksamkeit auf sich zog und mit seinem Powertrio alla Cream für Furore sorgte. Ab 1970 arbeitete er unter eigenem Namen, aber immer noch in Trio-Besetzung. Legendär sein Auftritt beim ersten Rockpalast-Festival in der Essener Grugahalle 1977, der ihm die Herzen nur so zufliegen ließ. Ein irischer Derwisch, ein Arbeiter an der Gitarre. Ein schweißtreibender Auftritt, der nicht nur aufgrund seines anschließenden Interviews, durch reichlich Bier befeuert, im Gedächtnis geblieben ist.
Ich wurde erst durch die Empfehlung eines Freundes auf ihn aufmerksam. Die IrishTour `74 sollte ich mir unbedingt mal anhören. Blues Rock mit viel Gitarre wurde mir mitgeben. Ich war begeistert. Ein kraftvolles Doppelalbum. Eine ungezügelte Spielfreude, für viele des Guten zu viel. Für den geneigten Gniedelliebhaber ein Siegeszug. Die Aussage „Blues Rock“ finde ich hierbei eher seltsam. Klar, die Basis ist das schon, aber eigentlich ist es eine einzige Jam Session, die sich irgendwo im Schmelztiegel von Blues/Rock/Country/Hard Rock/Boogie und irischem Folkloreeinschlag verliert. Er ist begnadet und ist unter Gitarristen ein verehrter stiller Held. Er wurde sogar kurzzeitig als Nachfolger von Mick Taylor bei den Rolling Stones gehandelt, was (glücklicherweise) nicht zustande kam. Er wollte sich in kein musikalisches Korsett pressen lassen. „Defender“ ist zurückhaltender als seine vorherigen Alben. Mehr Songwriting, weniger Soloausflüge, die Achtziger wirken sich aus, die Lieder schmeicheln sich mehr dem Gehörgang an. Der Sound hat einen Hauch von der etwas glattgezogenen achtziger Klangästhetik, die damals vorherrschte. Was aber nicht unbedingt heißt, dass die „Defender“ dadurch auch charttauglich wurde. Die Platte hat die Charts nur kurz gestreift und gilt damit als eine nicht besonders gute Platte von ihm. Aber ich mag auch von Bruce Springsteen die „The Wild, The Innocent & The E-Street Shuffle“ am liebsten. Auch keine Platte, die die Charts im Sturm genommen hat. Alles natürlich eine reine Geschmackssache. Die Gitarre ist gemäß der Zeit etwas zurückgenommen. Sie steht nicht stetig im Mittelpunkt und macht die Platte gut hörbar. Alles im Midtempo gehalten. Nur einige wenige Uptempoausbrüche. Sein Slidegitarrenspiel zaubert einiges an Spaß aus der Tasche. Ich bin begeistert. Es muss nicht immer die volle Breitseite seiner schreienden Stratocaster sein. Er kann auch feiner, er hat es nicht mehr so eilig auf dieser Platte. Ein Spätwerk, der junge wilde Ire ist ruhiger geworden. Guinness statt eines schnellen Whiskeys. Die Gemütlichkeit steht ihm gut. Und ein Guinness kann man ab und zu ja auch ganz gut trinken.
SAGA – Heads Or Tales – Polydor 1983, gebraucht bei SLAM, Große Bergstraße, Altona
Huuuuh, das ist wirklich nostalgisch. Der Klang der 80er weht durchs Zimmer. Diese Platte habe ich wirklich lange nicht mehr gehört und ich stelle erschüttert fest, diese Musik hat die Zeit nicht gut überstanden. Sie ist alles andere als zeitlos. Man muss vermutlich mit dem Sound aufgewachsen sein, um sich noch dafür zu begeistern. Aber damals habe ich diese Platte geliebt. Ich war geradezu süchtig nach den Liedern. In der Schule fieberte ich sehnsüchtig dem Schlussakkord der Schulglocke entgegen, um so schnell wie möglich mich zu Hause wieder vor meinen Plattenspieler setzen zu können. Die tägliche Dosis SAGA zuführen. Ich gebe zu, das ist jetzt schwer nachvollziehbar beim wieder hören. Die Musik wirkt etwas angestaubt und wie aus einer fernen Zeit. Sehr fernen Zeit. Etwas steril vielleicht, aber das war irgendwo auch die Zeit. Bowie, Genesis und Roxy Music. Sie setzten alle auf Synthesizer und glatten Sound. Auch wenn die E-Gitarre zumindest hier noch einen großen Anteil an der Musik hat.
Es dauert gerade tatsächlich nicht als zu lange und die Musik trägt mich wieder in mein damaliges Kinderzimmer. Ein Nostalgietrip. Ich werde vielleicht gleich noch das Live-Album In Transit auflegen. Das kenne ich besser. Mit „Ladies and Gentlemen, would you welcome, SAGA!“ wurden sie angekündigt und dann setzt die Orgel mit einem tiefen Luftholen ein. Aus den tiefsten Tiefen wird der erste Ton nach oben geholt und es dauert bis er voll da ist. Zwar nur den Bruchteil einer Sekunde lang, aber dieses anschwellen des Tons ist ein Geräusch für die Ewigkeit. Ein Gänsehautmoment. Besser kann ein Konzert fast nicht beginnen.
Die Heads Or Tales mag nicht die beste Platte von SAGA sein, aber sie hatte eine unfassbare Wirkung auf mich. Ich kannte zum damaligen Zeitpunkt die Vorgängeralben von der Heads Or Tales noch nicht. Die sind zwar auch nicht zeitgemäßer, aber von den Songs her doch interessanter und auch melodischer. Platten, die den nachhallenden Ruhm der Gruppe besser erklären. Aber die Heads Or Tales war die erste Platte, die mir einen unvergesslichen Kick gab. Wirklich süchtig machte. Und das ist ein Gefühl, das ich bis heute bei jedem Kauf einer Platte suche und mir ins geheim erhoffe, diesen Kick noch einmal zu erleben. Die völlige in Beschlagnahme vom ersten bis zum letzten Lied. Leider ein Gefühl, dass ich in dieser Intensität nur noch ganz selten erleben durfte. Es bleibt die Erinnerung an das erste Mal. Aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. Das ist schließlich das, was die Leidenschaft für etwas am Kochen hält. Die Hoffnung auf das nächste große Ding. Solange suhle ich mich in Erinnerungen und denke an mein aller erstes Konzert. SAGA spielten im Februar 1990 im CCH in Hamburg, Saal 1, es war phänomenal.
Spider Murphy Gang – Dolce Vita – 1981 - Electrola – Ein Geschenk meines Bruder❤
Es ist nicht unbedingt ein Zufall, dass ich gerade diese Platte jetzt in den Händen halte. Das einmal schnell vorausgeschickt, bevor sich jemand noch komische Gedanken macht.
Zwei Ereignisse in kürzester Zeit haben mir diese Platte wieder ins Gedächtnis gebracht. Erstens: Ich war auf einer Feier. Eingeladen zu einem dreißigsten Geburtstag. Das heißt, das Geburtstagskind war noch nicht einmal geboren, als diese Platte die Charts der Welt erblickte. Das Publikum auf dieser Party war entsprechend jung und ich drückte den Altersdurchschnitt erheblich nach oben. Ich fühlte mich etwas fehl am Platze. Die musikalische Auswahl dieses Abends ließ mich allerdings wieder in einer provisorisch zur Disko umfunktionierten Turnhalle in Puan Klent auf Sylt stehen. Ich war wieder elf und auf Klassenreise. Es ist 1982. Es geben sich Falco, Hubert Kah und eben die Spider Murphy Gang die Klinke in die Hand. Die NDW ist in vollem Gange und ich mitten drin. Eine Gefühlsachterbahn und ich musste mich zusammenreißen nicht allen von meiner Jugend zu erzählen und, dass ich ja damals voll dabei war. Ja, damals. Etwas, was keinen auf einem dreißigsten Geburtstagwirklich interessiert. Und das zweite Erlebnis war die Playlist meiner Tochter, 16 Jahre, die auf einer gemeinsamen Autofahrt ein fröhliches Skandal im Sperrbezirk in die Runde feuerte. Grund genug hier mal wieder reinzuhören.
Ich habe diese Platte seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gehört. Aufgeregt, gepaart mit einem etwas peinlichen Gefühl, lege ich die Platte wieder auf. Ich habe diese LP damals wirklich geliebt. Es war meine erste eigene Schallplatte. Ein Geschenk meines großen Bruders. Er wollte mir wohl unterschwellig den Rock `n´ Roll näherbringen.
Ich war bis zu den jüngsten Ereignissen immer der festen Überzeugung, dass nur Kinder meiner Generation noch etwas mit der Telefonnummer 32 16 8 anfangen können und dabei einen etwas hektischeren Herzschlag bekommen. Aber scheinbar erfährt dieses Lied gerade eine Renaissance, was ich ihm natürlich sehr gönne. Und vor allem auch der Band, die noch immer Musik macht und immer noch hoch sympathisch ist. Trotzdem war ich der festen Überzeugung, dass die Musik dieser Platte nicht gut gealtert ist. Aber wie man sich irren kann. Scheinbar wird die Nummer doch wieder häufiger gewählt.
Natürlich kann ich die Platte nicht unbefangen hören. Mit dem ersten Ton beginnen Bilder und Erinnerungen aufzuflammen. Ich reise zurück in meine Kindheit. Ich höre Schickeria. Ich sehe vor meinem geistigen Auge meine Mappe mit Zeitungsausschnitten aus der Bravo, Popcorn und Mopo, die ich in akribischer Kleinarbeit füllte. Danach Wer wird denn woana und Zwoa Zigarettn. Natürlich erinnere ich mich an den gleichnamigen Film der Spider Murphy Gang, der vermutlich heute sehr albern wirken dürfte. Ein Film von der gleichen Güte wie alle Filme aus der NDW-Zeit. Nena, Markus und die Ärzte waren einfach keine Schauspieler. Ich habe ihn noch nicht wieder gesehen. Ich bin noch nicht soweit. Was mich aber gerade wieder begeistert, ist das wunderbare Lied Herzklopfen. Ein wunderbar vergeigtes Stück Musik. Diese paar Minuten sollte man sich unbedingt mal geben.
Objektiv kann ich diese Platte gar nicht bewerten. Ein emotionaler Ritt durch die Vergangenheit. Das Jahr 1982 in einer Blase. Herzklopfen. Ob die Musik heute noch zündet, müssen tatsächlich andere entscheiden. Aber irgendwie geht da ja was, zumindest nach der Playlist meiner Tochter zu urteilen.
Santana - Havana Moon – 1983 - CBS - keine Ahnung, wo ich sie gekauft habe
Mitte der achtziger Jahre entdeckte ich Carlos Santana für mich. Weniger Samba Pa Ti oder Black Magic Woman, sondern eher die meditativen Stücke wie Aqua Marine oder Europa. Ich mochte seinen Ton, seine entspannte Art. Das Sphärische in seiner Musik, gepaart mit gut verdaulichen lateinamerikanischen Klängen. Dieses leichte Schweben, welches vielen seiner Lieder innewohnt. Meine Begeisterung war allerdings dann schlagartig vorbei, als er seine Gitarre wechselte, seinen guten Ton verlor und ihm wenig später auch noch ein gigantisches Comeback damit gelang. Sein neues musikalisches Erwachen war nicht meine Musik. Ich war nicht mehr in der Lage seine Platten zu hören. Mir stellten sich die Nackenhaare auf, wenn er nur einen Ton anschlug. Mein Gehirn ging in Krampfstellung, wenn ich Maria Maria hörte (und das hat sich bis heute nicht geändert). Es sind also nicht die besten Voraussetzungen, um bei meinem Zufallsgriff ins Plattenregal, nicht sofort die Platte wieder an seinen seit Jahren angestammten Platz zurückzuschieben. Aber ich habe mir ja vorgenommen, auch solchen Platten eine neue Chance zu geben. Also lege ich sie widerwillig auf. Ehrlich gesagt, ich hatte keine Ahnung was mich musikalisch erwartete. Meine Santana-Phobie war fortgeschritten und ich brauchte nur den Namen hören, um in eine Maria Maria Krampfhaltung zu verfallen. Alles andere was Santana je gemacht und veröffentlicht hat, ist ausgeblendet und nicht mehr existent. Alles was ihn mir damals so nah gebracht hatte und mich seine Platten kaufen ließ. Zumindest das Cover gefällt mir schon mal. Der Mond über dem Meer. Es ist leider keine musikalische Ausrichtung erkennbar.
Die Nadel fällt, ich verkrampfe vorsichtshalber schon mal. Nach den ersten Takten löst sich die Anspannung. Es gab nichts, was eine Verspannung forderte. Ich höre Bläser, Rockgitarre und heiße Rhythmen. Ich stehe irgendwo zwischen den Blues Brothers und Bo Diddley. Ich bin mir sicher – ich habe diese Platte noch nie gehört. Ich schaute sogar misstrauisch noch einmal auf die sich drehende Scheibe, um sicherzugehen, dass nicht das falsche Vinyl in der Hülle steckte. Nein, alles richtig. Blieb nur noch die Möglichkeit einer Fehlpressung, aber auch das erübrigte sich, da Song und Songtitel zusammenpassen. Das was ich höre, ist für mich nicht mit meiner Vorstellung von Santana in Einklang zu bringen. Kein Latingeschwobel oder Katzenjammer. Ein Blick auf die Cover-Rückseite klärt auf. Booker T quält die Orgel, die Fabulous Thunderbirds mit Jimmie Vaughan sind die Backingband und viele mehr gut ausgebildete Musiker spielen Songs von unter anderem Bo Diddley und dem alten Latinocrack Chuck Berry. Und als Krönung des Ganzen, kommt auch noch Willie Nelson persönlich um die Ecke für ein schunkeliges Duett. Eine außergewöhnliche Platte, die mir ganz neue Facetten von Santana zeigt und ihn mir irgendwie wieder näherbringt. Zumindest auf dieser Platte. Komisch, dass ich sie nie gehört habe.
They Might Be Giants – Flood - Elektra 1990, gebraucht bei SLAM, Große Bergstraße - Altona. Preis: keine Ahnung
Die Platte kaufte ich in den frühen Neunzigern nur aufgrund eines einzigen Liedes. Ich musste es immer wieder bei einem Freund hören. Etwas unfreiwillig. Ich fand es anstrengend. Er liebte es. Es war eine Mischung aus Talking Heads und ein bisschen Kirmes. Ich mochte beides nicht wirklich. Ich konnte nichts damit anfangen. Aber er hat mich so lange damit genervt, bis auch ich mich nicht mehr dem Reiz der etwas abgedrehten Rhythmik des Songs `Whistling In The Dark´ entziehen konnte. Man kann sich Dinge eben auch schön hören. Man muss sie nur oft genug vorgesetzt bekommen. Was ja ganz gut geklappt hat. Die Platte besteht grundsätzlich aus Ohrwürmern und man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, diese Lieder nicht irgendwo schon einmal gehört zu haben. Nicht nur aufgrund des 50er Jahre Klassikers `Istanbul (Is Not Constantinople)´. Sie wirken alle seltsam vertraut, obwohl ich die Platte seit des Kaufs nie wieder ernsthaft gehört habe. Den Eindruck unterstreicht die Tatsache, dass selbst meine Tochter mir zu der guten Musik, die jetzt beim ersten Hören aus meinem Zimmer dröhnte, gratulierte (Ich nahm das Kompliment mal dankend an – Sie hält sonst nicht viel von meiner Musik). Sie kannte das eine Lied, sie ist erst 16 Jahre alt. Erstaunlich. Die Halbwertszeit ist doch größer als erwartet. Die Musik der They Might Be Giants ist grundsätzlich fantastisch, sehr quirlig und an allen Ecken und Kanten gibt es immer neue Details zu entdecken. Doch wie es bei mir mit solchen Platten früher immer ging, ich konnte sie nicht durchhören. Es war mir zu anstrengend, zu gut gelaunt, zu viele Brüche, zu schrullig, was ihre Genialität ja eigentlich gerade ausmacht(e). Ich kaufte die Platte als ich fest im Blues steckte. Muddy Waters, John Lee Hooker, Howlin´ Wolf waren meine eigentlichen Helden. Ein direkter Vergleich schwierig und eigentlich total gegen den Strich. Die Genres sind zu weit auseinander. Die beiden Jungs von They Might Be Giants verbreiteten mir zu viel Hektik. Mehr als die erste Seite der Platte war einfach nicht drin, dann war ich erschöpft und brauchte einen musikalischen Wechsel. Jetzt, wo ich mich vom Blues gelöst habe, anderen Stilen eine Chance gebe und ich sie nach sehr langer Zeit wieder aufgelegt habe, erkenne ich erst die Klasse der Musik. Eine Fundgrube an Melodien, Mixturen aus Stilrichtungen, Brüchen und einfach guter Laune. Hier finden ein bisschen Beat, Rockabilly, Dance, BigBand und alles mit einem Gefühl von Jahrmarkt aufgerühert zueinander. Ich konnte sogar problemlos die zweite Seite hören und legte vor Begeisterung die Platte gleich noch einmal auf. Die Musik ist immer noch quirlig und eigentlich hätte ich erwartet, im Alter mit so viel Kauzigkeit nicht mehr umgehen zu können. Ich habe mich mal wieder geirrt. Gerne geirrt. Birdhouse In Your Soul ist mittlerweile bei mir auf Dauerrotation, auch wenn es vielleicht das gefälligste von allen Liedern ist.
Eric Clapton – Journeyman – Warner 1989, gekauft bei Hertie Altona, eigenes Taschengeld
Interessanter Weise habe ich diese Rubrik tatsächlich Eric Clapton zu verdanken. Es war wirklich die erste Platte, die ich kürzlich aus dem Regal zog und dachte ´Lange nicht gehört`.
Gekauft habe ich die LP, als sie frisch auf den Markt gekommen war und Clapton sich im Zuge der Veröffentlichung für eine Tournee ankündigte. Natürlich sollte er auch in unserem wunderschönen Hamburg Station machen. In der Alsterdorfer Sporthalle. Nicht unbedingt ein Ort für guten Hörgenuss, aber damals war es in Hamburg die größte Halle. Was soll man machen. Die Karte hatte ich schon, die Platte nicht. Es war das erste Konzert in meinem Leben, das die 50,00 DM Grenze sprengte und für mich unendlich viel Geld und ein echter Dorn im Auge war. Für einen 17jährigen eine Menge Taschengeld. Aber wenn man ihn unbedingt mal sehen will, dann muss diese Investition eben sein.
Ich war damals voll auf Clapton. Mit einem Freund zelebrierten wir zusammen das Live Album Just One Night. Wir sahen uns immer wieder auf einer VHS-Kassette das Konzert On Whistle Test von 1977 an und an wilden Tagen lagen wir seiner vormaligen Band Cream zu Füßen. Wir mussten einfach zu dem Konzert.
Ich kaufte mir die LP und machte mir schon aufgrund des Covers so meine Gedanken. Er hatte plötzlich einen feschen Haarschnitt, der nichts Gutes verhieß. Die Kritiken waren überschwänglich. Das beste Album seit Slowhand, hieß es. Sein Referenzwerk, wenn man der Mehrheit glaubt. Die neue Platte haute mich nicht vom Hocker. Zu glatt, zu viel Lied, zu wenig Gitarre. So geschniegelt wie seine Fönwelle. Kritiker spiegeln auch nur den Zeitgeist wider. Unentschlossen zwischen Charts und Blues pendelnd, war mein Eindruck. Aber die Vorgänger-Platte August von 1986 war ja auch nicht ganz so dölle. Wir waren trotz dessen guter Hoffnung. Das Konzert sollte alles rausreißen. Wir würden einen entfesselten Clapton auf der Bühne sehen, der sich mit seinen Mitmusikern battlen und uns staunend und geflasht nach einigen Stunden in die Nacht entlassen würde.
Die Enttäuschung war groß. Statt eines hemdsärmeligen Musikers mit Zigarette zwischen den Saiten an der Kopfplatte seiner Stratocaster eingeklemmt, stand da ein gefönter Schnösel im Armanianzug auf der Bühne, der sich mit einem gelackten Auftritt anderthalb Stunden emotionslos durch seine Lieder spielte. Es fiel schwer den hemdärmeligen Typen mit dem Karohemd von der VHS-Kassette in dem Yuppi-Anzug auf der Bühne der Alsterdorfer Sporthalle wieder zu entdecken. 1977 sah er noch aus wie Wackersdorf, 1990 wie Miami Vice. Es war die Zeit des cleanen Sounds. Des Phil Collins Sounds. Er produzierte sogar das Vorgängeralbum August und durfte hier bei einigen Stücken mit trommeln – neben anderen. Er hatte die Charts fest im Griff. Es war nicht meine Zeit für Charts. Es war nicht meine Zeit für Phil Collins. Entsprechend schwer hatte es die Platte bei mir, ihre Daseinsberechtigung zu rechtfertigen und wanderte nach dem Konzert ziemlich schnell ins Regal zu den anderen Platten. Wo sie dann auch lange unangetastet stehen blieb. Kurz zurück zu Phil Collins, da gibt es eine kleine Anekdote, die mir Phil Collins ironischerweise genau zu dieser Zeit doch etwas sympathischer machte. Er brachte damals nahezu gleichzeitig mit der Journeyman von Clapton sein Album „… But seriously“ auf den Plan, wo Clapton auch mitspielen sollte. Collins erzählte einmal in einem Interview, dass er eher ein Freund von Jogginghosen im Studio war und er bei seiner eigenen Produktion von Clapton mit einem abschätzigen Blick bedacht und zu einer Bekleidungskorrektur komplementiert wurde. Um die Fertigstellung der Platte nicht zu gefährden, erschien er also dann auch in Armani. So in etwa habe ich die Geschichte noch im Kopf, sie kann aber auch ganz anders gewesen sein. Egal.
Was mir immer im Kopf geblieben ist bei dieser Platte, ist der satte Sound. Der hatte sich trotz seltenem abspielen in meine Ohrmuschel gebrannt. Das erste Lied Pretending ist ein glatter, neunziger Popsong und nicht unbedingt ein Aushängeschild für Clapton. Trotzdem hat der Sound mich gepackt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Jetzt beim ersten Anhören nach vielen Jahren und dem Wissen, was das Schicksal noch alles für Eric Clapton nach dieser Platte parat hielt, muss ich gestehen, dass die Platte doch besser gealtert ist, als ich dachte. Zwischen den chartsorientierten Liedern, verstecken sich kleine Perlen, die durchaus hörenswert sind. Wenn ich mir zusätzlich die Besetzungsliste ansehe, dann stockt mir ein wenig der Atem. Es war mir nie bewusst, dass solche Hochkaräter wie Robert Cray, Chaka Khan, einige aus dem Clan der Womacks und sogar George Harrison mitgewirkt haben. Der Rest der Band kann sich ebenfalls sehen lassen. Es ist die letzte Platte, bevor sein Leben eine weitere Wende einschlug. 1991 fiel Claptons vierjähriger Sohn aus dem Fenster eines New Yorker Appartementhauses. Ein Schicksalsschlag, der bei ihm eine deutliche Wesensänderung nach sich zog. Er blieb clean, etwas was ihm viele Jahre nicht geglückt war und wirkte 1992 bei seinen wenigen Auftritten bescheidener und erwachsener. Das Konzert von MTV Unplugged nach dem Unfalltod seines Sohnes zeigt einen ganz anderen Clapton als noch zwei Jahre zuvor. Er verschreibt sich wieder mehr dem Blues und bleibt bodenständig. Journeyman ist die letzte Platte eines langen Weges voller Alkohol und Drogen. Es wird bestimmt nicht meine Lieblingsplatte, sie ist ein Kind der Neunziger, der Sound ist Phil Collins, aber sie steigt in meiner Achtung erheblich und dafür hat sich das herausholen der Platte doch wirklich gelohnt. Ich denke, ich werde sie gleich noch einmal hören.
Sounds Like Van Spirit
Die ehrlichste Musik wird immer noch auf der Straße gemacht. Tausende von Straßenkünstlern legen täglich ihr Herzblut in ihre Musik. Immer aufs Neue wollen und müssen Sie das Publikum für sich gewinnen. In manchen Fällen hängt sogar der Lebensunterhalt davon ab. Bleibt die Kasse leer, muss man am Abend sehen, wie man zurechtkommt. Man sollte also immer einen EURO in der Tasche haben, falls einem ein Straßenmusiker begegnet. Aber für die meisten ist es kein Notstand, sondern eine Einstellung. Eine selbst gewählte Lebenserfahrung. Eine Passion, der man sich verschreibt. Aus den wenigsten werden bekannte Stars. Klar, es gibt einige, die als Straßenmusiker angefangen haben und heute Weltstars sind. Ed Sheeran ist wohl das beste Beispiel. Das garantiert aber nicht unbedingt für gute Musik, es ist ja auch immer die Frage, ob man zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Die Musik der Straße ist bunt, ein Stilmix, die Welt, die die Musiker in die Stadt bringen. Und es gibt verdammt gute Musiker, die mit Liebe zur Musik, ihrer Musik einen besonderen Unterton geben. Eine einzigartige ehrliche Tiefe. Soundslikevanspirit versucht genau diese Tiefe einzufangen. Den Musikern eine kleine Plattform zu geben, die ihre Musik auf die Straßen Europas tragen. Eine einfache Lösung - ein einfacher VW Bus, der es möglich macht. Ein Bus, der zu den Künstlern fährt und diese nicht ins Studio holt. Zwei Jahre ist Marten Berger mit einem selbst zum Heimstudio umgebauten VW Bulli durch Europa getingelt und hat sich die Musiker vors Mikrofon geholt. Oder vor seinen Bulli. Und es ist ihm etwas einzigartiges gelungen, wie ich finde.
Das Gefühl der guten Laune und Freiheit spürt man bei jedem Ton auf dieser Platte. Es macht unendlich Spaß diesen Leuten zuzuhören und sich auf die Straße zu den Musikern zu gesellen. Ein Urlaub auf Schallplatte. Ein Gefühl, die europäischen Metropolen vorm Plattenspieler bereisen zu können und die unterschiedlichsten Musiken dabei zu genießen. Es braucht nicht einmal Bilder. Die Musik implantiert eigene Bilder vors geistige Auge. Selten habe ich den warmen Wind Spaniens auf einer Schallplatte gespürt.
Wer Hilfe bei der Findung von Bildern braucht, der kann sich natürlich auch bei Youtube von den Videos verführen lassen (smellslikevanspirit) oder noch besser sich den Film auf der Webside www.soundslikevanspirit.eu zum Download kaufen. Eine Investition, die sich lohnt. Dieses hochsymphatische Projekt unterstützt mit einem Teil der Einnahmen die Organisation „Musicians without Borders“. Sollte es in der Zukunft eine weitere derartige Platte geben – ich wäre bereit.